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Mag. Johannes Schröer, Autor für das "Praxishandbuch Kinder und Jugendschutz", beantwortet Fragen zum Umgang mit jungen Flüchtlingen.

FORUM: Herr Schröer – erklären Sie uns kurz, inwiefern Sie bisher in Ihrem Beruf mit Asylsuchenden und besonders UMF zu tun hatten.

Schröer: Neben einigen Kontakten mit in pädagogischen Wohngemeinschaften betreuten jugendlichen UMF hat mich vor allem meine ehrenamtliche Arbeit im Bereich der Flüchtlingshilfe am Wiener Hauptbahnhof Ende 2015 diesem Arbeitsfeld nähergebracht. Daraus ergab sich eine Beschäftigung mit dem Thema auch innerhalb der MAG ELF durch den Besuch von Fortbildungen, einem internen Arbeitskreis sowie von mir abgehaltenen psychoedukativen Workshops für UMF zum Thema Trauma.

Factbox 1: Asylwerber, Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte

  • Asylwerber: Statusbezeichnung für Kinder, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Asylwerber haben Anspruch auf Grundversorgung (u.a. Beratung und Betreuung, Unterkunft und/oder Zuschuss für Miete, Bekleidungshilfe, Verpflegung und Schulbedarf im Wert von max. € 200.-/Jahr)

  • Asylberechtigte: Sie erhalten eine vorerst auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung für Österreich. Diese verlängert sich unter bestimmten Umständen um eine unbefristete Gültigkeitsdauer. Sie verfügen über kein Wahlrecht, haben allerdings Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung (allerdings nicht in allen Bundesländern in voller Höher) und andere Förderungen und Beihilfen. Sie erhalten einen sog. „Konventionsreisepass“. Nach 6 Jahren können sie die Staatsbürgerschaft erlangen.

  • Subsidiär Schutzberechtigte: Sie erhalten ein vorübergehendes, verlängerbares Aufenthalts- und Einreiserecht, das beim ersten Mal nur für ein Jahr erteilt wird, unter bestimmten Voraussetzungen aber für jeweils 2 Jahre verlängert werden kann. Nach 5 Jahren kann eine Niederlassungsbewilligung, nach 10 Jahren die Staatsbürgerschaft erworben werden.

 

FORUM: Welche positiven Entwicklungen konnten Sie in den letzten beiden Jahren hinsichtlich der Integration junger Flüchtlinge beobachten?

Schröer: Während von staatlicher Seite aus die Bedingungen für Flüchtlinge allgemein und im Speziellen für Kinder und Jugendliche immer weiter verschlechtert werden, können als positive Beispiele die gestiegene Zahl an privaten und karitativen Initiativen beobachtet werden. Hier wurde und wird besonders in den Bereichen Bildung und Freizeitgestaltung viel getan. Durch die gemeinsame, partizipative Arbeit können beide Seiten profitieren. Speziell Projekte, die die vorhandenen Ressourcen stärken und den positiven Beitrag von Flüchtlingen hervorheben­ ohne bestehende Problematiken auszuklammern- können einen Gegenpol zu Ängsten und Vorurteilen bei der Bevölkerung des Gastlandes darstellen.

Jedoch können private Initiativen die Situation nicht auf allen Ebenen verbessern und die Last der Verantwortung nicht alleine schultern. Es bedarf eines verstärkten Einsatzes von staatlicher Seite. Besonders mangelt es immer noch an ausreichenden Angeboten bei der psychischen Versorgung.

Rückblick 2016: Fort- und Rückschritte im Bereich UMF

  • Oktober 2016: Das speziell für junge Flüchtlinge eingerichtete Wiener Jugendcollege geht in Vollbetrieb. Es adressiert eine potenzielle Zielgruppe von 3.500 Personen. Nur 300 dieser Plätze stehen speziell Jugendlichen im Asylverfahren zu, der Rest ist für Asylberechtigte bzw. subsidiär. Schutzberechtigte vorgesehen. Jugendlichen soll im Jugendcollege mithilfe von Sprach-und Basiskursen der Zugang zum regulären Schul- und Ausbildungssystem ermöglicht werden.

  • Juli 2016: Die Ausbildungspflicht für Jugendliche bis 18 Jahre wird im Nationalrat beschlossen. Sie sieht vor, dass alle Jugendlichen bis 18 eine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung absolvieren. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind davon ausgenommen, da sie nur begrenzt Zugang zu Bildungseinrichtungen haben

  • Juni 2016: Start der Kampagne „Keine halben Kinder“ in Kooperation mit NGOs.

 

FORUM: Welche Problematiken ergeben sich aus Ihrer Sicht aus dem derzeitigen Asylverfahrensprozess für junge Flüchtlinge?

Schröer: Sämtliche Verschärfungen und Einschränkungen des Asylverfahrens erhöhen deutlich die psychischen Belastungen. Solange keine (Rechts-)Sicherheit über den weiteren Aufenthaltsstatus besteht, kann die für die Bearbeitung von Traumata notwendige innere Sicherheit nicht erreicht werden. Eine mögliche Heilung wird dadurch verhindert. Die lange Dauer der Verfahren und die damit verbundene 

scheinbare Willkür (Anm.: die Dauer eines Asylverfahrens abzuschätzen, ist schwierig, es kann sich in Einzelfällen über Jahre hinziehen) bremsen die Bemühungen zur Integration aus. Dauern die Verfahren so lange, dass währenddessen die Volljährigkeit erreicht wird, verlieren die Betroffenen die bestehende Betreuung, ihr 

Bezugssystem und damit meist ihren ohnehin schon beschränkten Zugang zu Bildung. Da mit Erreichen der Volljährigkeit auch das Recht auf Familienzusammenführung erlischt, ergeben sich dadurch katastrophale Auswirkungen auf junge Menschen.

Gerade die verschärften Hürden bei der Familienzusammenführung stellen für junge Flüchtlinge massive Probleme dar: Sie müssen weiterhin, von ihren nächsten Familienangehörigen getrennt, alleine in einem fremden Land zurechtkommen, die Angst um die im Ursprungsland verbliebene Familie wächst. Damit steigen auch der Druck und die Verzweiflung darüber, hilflos zu sein, und die Familie nicht unterstützen zu können.

FORUM: Welche Rolle spielt das Erlernen der deutschen Sprache für die Jugendlichen?

Das Erlernen der Sprache stellt das Fundament für alle weiteren Schritte zur Integration und zur Normalisierung der psychischen und sozialen Situation der Jugendlichen dar. Ohne entsprechende Sprachkenntnisse bleibt der Zugang nicht nur zu Bildung und Beruf verschlossen, sondern auch zu Gesundheitsversorgung, Kultur und Anschluss an die Gesellschaft. Je besser die Sprachkenntnisse, desto eher können Selbstständigkeit erreicht, komplexe Situationen gemeistert und Konflikte reduziert werden. Vom raschen und qualifizierten Spracherwerb profitieren sowohl die Jugendlichen als auch die Gesellschaft als Ganzes.

FORUM: Österreich hat sich als UN-Mitgliedstaat dazu verpflichtet, Kinder und Jugendliche, explizit auch junge Flüchtlinge, vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen und ihnen Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zukommen zu lassen. Neben der Bereitstellung der Grundversorgung ist der Zugang zu Bildung, Informationen und Sprache zentral. Welche weiteren Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um diesen Verpflichtungen nachzukommen und gute Voraussetzungen für UMF zu schaffen?

Eine Verpflichtung bedarf auch einer entsprechenden Umsetzung: Als Erstes muss die diskriminierungsfreie und ausreichende Grundversorgung und kindgerechte Betreuung für alle Kinder und Jugendlichen bereits ab dem Zulassungsverfahren gewährleistet sein. Ebenso entsprechende nachhaltige Bildungsangebote. Aus psychologischer Sicht stellt sicherlich die adäquate Behandlung von Traumatisierungen und

Traumafolgestörungen eine elementare Notwendigkeit dar. Je früher psychische Belastungen gemindert werden, desto weniger negative Auswirkung, sowohl für die Betroffenen als auch die Gesellschaft. Dies gilt auch für die weitere Gesundheitsversorgung, insbesondere von Personen mit besonderen Bedürfnissen und Behinderungen. Des Weiteren bedarf es Strukturen, die eine faire rechtliche Repräsentanz und Beratung gewährleisten, soziale Kontakte und Netzwerke schaffen und Teilhabe am öffentlichen Leben, Kultur und Freizeitangeboten ermöglichen.

Kinder und Jugendliche haben das Recht, bei der Anpassung an die bestehende Kultur und die Regeln des Gastlandes unterstützt und angeleitet zu werden; ebenso haben sie das Recht auf einen wertschätzenden Umgang mit ihrer kulturellen Identität und Herkunft.

Aktuell wird nicht gewährleistet, dass alle in Österreich lebenden Kinder und Jugendlichen dieselben Rechte erhalten. Die UN-Kinderrechtskonvention findet nicht in vollem Umfang Anwendung. Ein Grundsatz der UN-Kinderrechtskonvention sowie der Grundrechtecharta der Europäischen Union ist der Vorrang des Kindeswohls bei staatlichen Entscheidungen und Handlungen, welche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben. Dieses Leitprinzip wird noch nicht auf allen Ebenen adäquat berücksichtigt.

(Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Implementierung und Umsetzung der Kinderrechte findet sich z.B. hier: www.keinehalbenkinder.at)

Factbox 2: Zukünftige Herausforderungen für die Asylpolitik
  • Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind ab dem 18. Geburtstag auf sich alleine gestellt.
  • Flüchtlingskindern ab 15 Jahren stehen lt. Grundversorgung 200 Deutschstunden zu, was nur etwa 2 Monaten Sprachkurs entspricht.
  • UMF haben nur begrenzten Zugang zu Bildungseinrichtungen und sind daher auch aus der Ausbildungspflicht bis 18 Jahre (im Herbst 2016 beschlossen) ausgenommen.

Mag. Johannes Schröer, Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe, ist bei der MAG ELF (Amt für Jugend und Familie) tätig und schreibt Beiträge für das Werk „Praxishandbuch Kinder-und Jugendschutz”. Er arbeitet diagnostisch und beratend mit Kindern, Jugendlichen und Familien im Bereich der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe und sammelte zusätzliche Erfahrungen zum Thema UMF im Rahmen von psychoedukativen Trauma-Workshops und ehrenamtlichen Tätigkeiten im Bereich der Flüchtlingshilfe.

 

 

 

 

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Referenzen:

Asyloordination Österreich: www.asyl.at/fakten_2/PA%20Tag%20der%20Kinderrechte%202016.pdf, 23.1.2017.
Caritas&Du: caritas-wien.at/hilfe-angebote/asyl-integration/ausbildung/startwien-das-jugendcollege/
Fleck, Elfie (2016): „Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge“. In: Freiberger, A.M; Mandl, P; Schwarzinger, F. (Hrsg): Praxishandbuch Kinder-und Jugendschutz, Wien: Forum, Kapitel 2.8.

Schröer, Johannes (2016): „Flucht und Migration“. In: Freiberger, A.M; Mandl, P; Schwarzinger, F. (Hrsg): Praxishandbuch Kinder-und Jugendschutz, Wien: Forum, Kapitel 3.7.

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